Overland: Von Belfast nach Dublin

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    Die systematische Kolonisierung Irlands durch englisch-protestantische Siedler seit 1558 – das Unternehmen „Ulster“ – sollte einst ein Bollwerk gegen die Invasion der katholischen Iberer schaffen. Über Jahrhunderte blieb so ein Unruheherd bestehen, auch nach der Teilung der grünen Insel 1921. Erst das Karfreitagsabkommen vom April 1998 beendete einen langjährigen Bürgerkrieg in der Region Ulster und führte schließlich im Jahre 2007 zum Abzug der britischen Truppen, die von vielen Nordiren als ungeliebte Besatzungsarmee empfunden wurde.

    Unweit vom legendären Hotel Europa liegt der moderne Busbahnhof von Belfast, der Hauptstadt von Nordirland im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland. Heute hat sich die einst umkämpfte Hafenstadt zum zweitwichtigsten Knotenpunkt Irlands nach Dublin entwickelt. Und der Überlandbus ist das bedeutendste öffentliche Verkehrsmittel in der Personenbeförderung.

    Die Busgesellschaften BUS EIREANN und TRANSLINK (Ulsterbus) verbinden Belfast mit den nordirischen Provinzen sowie dem internationalen Flughafen von Dublin, Hauptstadt der Republik Irland. Alleine BUS EIREANN beschäftigt beinahe 2.600 Mitarbeiter, darunter rund 1.800 Busfahrer und gilt somit als landesweit wichtiger Arbeitgeber. Der Fuhrpark der Busgesellschaft mit Sitz in Dublin umfasst weit über 1.200 Fahrzeuge. Die luxuriösen Reisebusse – zumeist VDL-Doppeldecker des Typs Synergy SDD-141 im städteverbindenden Busverkehr – sind mit modernem Komfort wie Klimaanlage, WiFi, Fahrkartenautomat, einem kompletten CCTV-System und verstellbaren Liegesitzen ausgestattet. Busfahrer Sean legt Wert auf Pünktlichkeit und packt beim Verstauen der Koffer – eine Gepäckaufbewahrung ist aus Sicherheitsgründen im Busbahnhof nicht möglich – auch schon mal selbst mit an.

    Die Strecke Belfast – Dublin dauert rund zwei Stunden, in denen die Fahrgäste eine unsichtbare Grenze zwischen zwei Ländern passieren, die an die ehemals innerdeutsche Situation erinnert. Das spiegelt sich selbst in einer unterschiedlichen Landeswährung wieder: Gilt in der Republik Irland der Euro als Zahlungsmittel, so wird im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland die Rechnung mit dem britischen Pound Sterling beglichen. Sean stammt aus Belfast und während der Fahrt erzählt er: „In den 70er Jahren war West-Belfast ein gefährliches Pflaster. Wer abends nicht rechtzeitig in seinem Viertel war, musste mit Beschuss durch feindliche Gruppierungen rechnen. Selbst auf Jugendliche wurde geschossen.“ Zum Verständnis der nordirischen Hafenstadt gehört ein Rundgang durch das Gaeltacht Quarter in West-Belfast. Wandmalereien und Graffities zeugen hier noch immer von dem langen Bürgerkrieg, der einst zwischen Protestanten und Katholiken tobte. In der britisch-protestantischen Shankill Road künden Union Jack und Queen-Porträts von der eindeutigen Haltung ihrer Bewohner, während die irisch-republikanisch geprägte Falls Road neben Wandmalereien und Gedenkstätten auch ein Besucher-Museum unterhält. Einen dramatischen Höhepunkt erreichte der Konflikt im Jahr 1981, als der Irische Hungerstreik im Gefängnis mehrere Todesopfer forderte. Bobby Sands – mit 27 Jahren im sogenannten H-Block verstorben – gilt heute als einer der bekanntesten dieser IRA-Aktivisten, die ihr Leben für die politische Sache ließen. Mit seiner späten Wahl zum Unterhaus-Abgeordneten eignete sich Bobby zudem ideal für die propagandistische Arbeit der Partei Sinn Fein (Wir selbst) – politisch Verbündete der IRA -, da sein Name mit deutlicher Symbolkraft besetzt war. Dokumentiert wurde der politische Kampf in der Haft durch handgeschriebene Nachrichten, die in Zigarettenpapier gerollt und per Mundkuss von Häftling zu Besucher weitergereicht wurden. Beliebt für Besichtigungen sind die Black Cab Tours – Rundfahrten mit den berühmten alten London-Taxis.

    Einige Passagier dösen mittlerweile in ihren Komfortsitzen, andere starren aus dem Fenster und träumen. Langsteckenfahrten mit dem Bus sind nur etwa halb so teuer wie entsprechende Reisen mit der Eisenbahn. Der VDL-Doppeldecker mit dem soliden DAF-Motor MX 340 schwebt scheinbar über der frisch asphaltierten Autobahn. Schlaglöcher? Fehlanzeige. Stopps werden im städteverbindenden Busverkehr nicht gemacht. Sean blickt auf seine Armaturen und hält sich strikt an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Er ist froh, dass die unruhigen Jahre vorbei sind. „Natürlich gibt es sie noch, die Ewiggestrigen“, holt er aus, „aber die sind zumeist in unbedeutenden Splittergruppen organisiert.“ Stattdessen erobern neuerdings Touristen Nordirland – der Fremdenverkehr ist ein bedeutender Wirtschaftszweig auf der grünen Insel: Eine Multimedia-Dokumentation zeigt in Belfast die historischen Werftarbeiten des berühmten Kreuzfahrtschiffs Titanic, das einst in der nordirischen Hafenstadt erbaut wurde. Seit der Ausstellungs-Eröffnung im März 2012 wurden bereits weit über 500.000 Besucher gezählt, die sich für die Geschichte des legendären Luxus-Dampfers begeistern konnten. Es gibt eine komplette Animation mit Film- und Audio-Vorträgen, dazu originalgetreue Nachbildungen der Docks und Schiffskabinen. Der solide DAF-Motor MX 340 des VDL-Doppeldeckers schnurrt.

    Der typische Kreisverkehr in Nordirland hat die Reisezeit nur kurz beeinträchtigt. Großflächige Einkaufszentren säumen das flache Asphaltband, auf dem viele Pendler und LKW´s unterwegs sind. Höhenunterschiede gibt es hier nicht. Die Geschichte der grünen Insel reist mit: Die vielen keltischen Ruinen, stattlichen Festungen und mittelalterlichen Residenzen verleihen Irland einen beinahe magischen Anstrich. Nicht zufällig wurden hier etliche Folgen des Fantasy-Dramas „Game of Thrones“ gedreht. Ein Straßenschild kündigt das nahe Dublin an. Der Verkehr nimmt zu, aber der Fahrplan wurde wieder einmal eingehalten, als der Reisebus schließlich in die Station Busáras unweit der O´Connell Street einfährt.

    Feierabend für Sean heute – es geht in den Pub. Ein rotgesichtiger Mann in mittleren Jahren wirft ungestüm seinen Mantel ab und stürmt auf die winzige Tanzfläche. Die Menge verlangt nach Guinness, Whisky und traditioneller Musik. Ein Barkeeper streichelt mit Hingabe die Sahnehäubchen vom Bierkrug, während die vierköpfige Band ihre Instrumente bearbeitet. Man trifft auf Jung und Alt, auf Arm und Reich. Oben im dunklen Séparée, da wo die Wände mit bunten 70er-Jahre Tapeten dekoriert sind, hängt ein vergilbtes Foto von John F. Kennedy an der Wand. Man ist hier immer noch stolz auf einen irischstämmigen US-Präsidenten. Und hier wird sie wieder deutlich, die einzigartige Kultur Irlands: Der Pub als klassenloses und generationenübergreifendes Wohnzimmer.

    © Text und Fotos von Ralf Falbe. Veröffentlichung im BUSFahrer Magazin Ausgabe 4/2015.

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