Amnesty-Interview: Ein Jahr Dutertes Philippinen

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    Ein gutes Jahr ist nun vergangen, seitdem der Populist Duterte die Präsidentschaftswahlen auf den Philippinen gewonnen hat. Sein Versprechen seinerzeit: Er werde Tausende Drogenhändler und Kriminelle umbringen lassen. Das kam gut an gerade bei den Armen, die vom Wirtschaftswachstum kaum profitieren konnten. Wie lautet die Bilanz von Amnesty International heute?

    Seitdem Duterte Präsident ist, wurden tausende Menschen getötet im sogenannten Krieg gegen die Drogen. Fast jeden Morgen finden die Bewohner der ärmsten Viertel Leichen auf der Straße – mit Schusswunden, oft mit Zeichen oder Schriftzügen markiert, die sie als Drogendealer ausgeben. Es geht nicht nur um Dealer. Duterte hat öffentlich seine Anhänger angestachelt, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen und jeden Drogenabhängigen oder Dealer, den sie kennen, persönlich zu töten. Die Polizei ist zu einer kriminellen Gang verkommen. Sie vermeidet Festnahmen von Verdächtigen und erschießt sie, weil sie sich angeblich der Festnahme widersetzt haben. Es gibt keine glaubwürdigen Untersuchungen der Tötungen, weder der der Polizei, noch der der Vigilanten. Nach wie vor haben wir das Problem der Straflosigkeit für die mutmaßlichen Täter, zumal Duterte immer wieder erklärt hat, dass er sich schützend vor die Polizei stellen wird. Die Regierung war so fokussiert auf den Krieg gegen die Drogen, dass sie durch die territorialen Besetzungen durch bewaffnete islamistische Truppen in Marawi und anderen Orten in Mindanao überrascht wurde. Wenn Regierungen gesetzeswidrig handeln, gibt es im Land ein Klima der Gesetzlosigkeit. Das Resultat ist ein gefährlicheres Land, in dem bewaffnete Gruppen ermutigt werden und die Verletzlichsten leiden. Die Sicherheit der Zivilbevölkerung sowie das rechtsstaatliche System haben sich im vergangenen Jahr massiv verschlechtert. Menschrechtsverteidiger sind erheblichen Gefahren ausgesetzt: in einem Statement droht der Präsidenten Menschenrechtlern, die Kritik üben, enthaupten zu lassen. 2016 gingen weiterhin Berichte über Folter und andere Misshandlungen in Polizeigewahrsam ein. Ein Gesetzentwurf zur Einrichtung eines nationalen Präventionsmechanismus gegen Folter wurde 2016 nicht weiterverfolgt. Im Repräsentantenhaus wurde ein Gesetzentwurf zur Wiedereinführung der Todesstrafe für Drogendelikte verabschiedet. Dazu steht eine Abstimmung im Senat bevor.

    Kriminelle Kartelle überschwemmen die Philippinen seit Jahren mit „Shabu“, der Billigdroge Crystal Meth, die Hunger und Schmerzen unterdrückt. Den Profit streichen neben den diversen – auch ausländischen – Gangstersyndikaten ebenso korrupte Provinz-Politiker oder Polizisten ein. Trifft die Menschenjagd von Präsident Duterte nicht die falschen Täter?

    Eine Menschenjagd mit shoot-to-kill Befehlen und Straflosigkeit für Täter trifft immer die Falschen. In der Tat aber trifft die Menschenjagd im Krieg gegen die Drogen besonders die Armen als die Verletzlichen, die sich nicht wehren können. Es sind vor allem auch die Armen, die ihre Armut mit Shabu erträglich machen wollen und die das Geld dafür als kleine Dealer zusammenscharren. Der Bericht von Amnesty International zum Antidrogenkrieg hat daher auch den Titel: Wenn du arm bist, wirst du getötet. Dieser Sachverhalt wird im Bericht dargestellt. Auch die Untersuchungen von Human Rights Watch haben ergeben, dass die Opfer von Tötungen mit Drogenbezug Arme aus den Elendsvierteln waren, und vornehmlich Drogenkonsumenten und keine Händler. Die großen Drogenhändler wie Herbert Colangco sitzen entweder im Gefängnis New Bilibid und betreiben ihre Geschäfte weiter vom Gefängnis aus – durch Korruption. Oder sie sitzen im Ausland. Der philippinische Polizeidirektor General Ronald “Bato” dela Rosa sagte dazu: Priorität ist es, großen Drogenbarone, die sogenannten Druglords, zu verhaften. Aber sie sind mal im Land, mal im Ausland. Wir können ihre Bewegungen nicht verfolgen.

    Nicht nur Menschenrechtsorganisationen erinnert das viele Töten – auch Journalisten stehen auf vielen Todeslisten – auf den Philippinen an die finsteren Zeiten unter Diktator Ferdinand Marcos. Gibt es tatsächlich Parallelen?

    Natürlich gibt es berechtigte Befürchtungen, dass auch Duterte eine Diktatur mit Kriegsrecht im ganzen Land anstrebt. Er hat auch mehrfach damit gedroht. Dennoch sind die Eingrenzungen seiner Macht durch die Verfassung sehr viel stärker. Der Antidrogenkrieg hat zu mehr extralegalen Hinrichtungen geführt als in der gesamten Marcoszeit, aber unter Marcos gab es weit mehr Opfer von „Verschwindenlassen“ und von politischen Gefangenen. Die fast 100.000 Internierten nach Selbstanzeigen in Gefängnissen oder im Drogenentzug sind dabei nicht mitgezählt.

    In Angeles City wurde letztes Jahr sogar ein südkoreanischer Geschäftsmann getötet – von korrupten Polizisten, wie später bekannt wurde. Der Fall erregte große Aufmerksamkeit, weil nunmehr auch Ausländer verfolgt wurden. Ist Duterte hier zu weit gegangen? Ist ihm sein Machtapparat entglitten?

    Die Ermordung von Jee Ick-Joo im Polizeigewahrsam war unerfreulich für Duterte. Er hat sofort hart reagiert, angekündigt, die Polizisten vor Gericht zu stellen, und zunächst den Antidrogenkrieg durch die Spezialeinheiten der Polizei gestoppt. Insofern hat er die Kontrolle über seinen Machtapparat behalten. Mittlerweile ist der Antidrogenkrieg wieder im Gange und Gras über die Sache gewachsen.

    Auftragsmörder werden auch von korrupten Polizisten geheuert, die nun Zeugen und Mitwisser ihrer kriminellen Aktivitäten aus dem Weg räumen lassen. Wie groß ist das Klima der Angst in Manila?

    Das ist eine Frage einer persönlichen Einschätzung. Amnesty International liegen dazu keine Unterlagen vor. Man kann indirekt darauf schließen, wenn man bedenkt, dass im Land fast eine Million Selbstanzeigen der Drogennutzung vorliegen – vermutlich aus Angst, auf den sogenannten Drogenlisten zu stehen und dann ermordet zu werden. Auf der anderen Seite gibt es im Land nach Umfragen von SWS und Puls Asia immer noch eine Zustimmung für Duterte um 80 %.

    Stichwort Marawi auf Mindanao: Wie konnte es passieren, dass Duterte – ehemaliger Bürger-meister von Davao auf Mindanao – das Krisenpotenzial auf der Insel so falsch einschätzte und sich in einen wochenlangen Häuserkampf gegen islamistische Terrorgruppen verrannte? Hat er sich zu viele Feinde in zu kurzer Zeit geschaffen?

    Wie oben beschrieben, war Duterte fokussiert auf seinen Krieg gegen die Drogen. Aber unterschätzt hat er den Angriff auf Marawi durch die islamistische Maute-Gruppe zusammen mit Abu Sayyaf und ausländischen islamistischen Kräften wohl nicht, sonst hätte er nicht sofort – noch bei seinem Russlandbesuch – das Kriegsrecht über ganz Mindanao verhängt. Unterschätzt hat er aber wohl die internationalen und ideologischen Verbindungen mit dem IS und die logistischen Vorbereitungen in der islamischen Stadt Marawi, die der im Dschungelkampf trainierten Armee einen Häuserkampf aufzwangen, in dem sie nicht geübt waren. Grundsätzlich muss man feststellen, dass die vorherigen Präsidenten das Konflktpotential noch deutlich weniger hoch eingeschätzt haben. Dasselbe gilt für das Oberste Gericht und das Parlament, sonst wären die Vereinbarungen mit den Moslems, insbesondere mit der MILF das Memorandum of Agreement on Ancestral Domain 2008 und das Bangsamoro Basic Law – BBL – 2014 nicht so leichtfertig gekippt worden. Für Duterte war der Friedensschluss mit den Moslems ein vorrangiges Ziel mit der Schaffung des autonomen Gebietes Bangsamoro. Es ist aber, wie oben beschrieben, durch die Fokussierung auf den Antidrogenkrieg in den Hintergrund getreten.

    © Interview und Foto von Ralf Falbe 07/2017. Mit freundlicher Unterstützung durch Amnesty International.