Interview mit NatGeo-Fotografin Ulla Lohmann

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    Eines deiner bekanntesten Bilder – nackte Kinder planschen am Meer und im Hintergrund sieht man einen rauchenden Vulkan – habe ich seinerzeit in der FREELENS-Galerie in Hamburg gesehen. Wie ist diese emotionale Aufnahme entstanden?

    Das Bild ist in Papua-Neuguinea entstanden. Ich wußte, dass die Jungen jeden Abend an einer bestimmten Stelle baden und dass man von dort aus den Vulkan sieht. Ich bin drei Tage hintereinander zu diesem Ort gepilgert, habe mit den Jungs natürlich auch gespielt, mich integriert und auf den Moment gewartet, dass der Vulkan explodiert. Ich hatte praktisch Glück und auch die Geduld, immer wieder an diesen Ort zu gehen, weil ich wusste, das wird ein tolles, aussagekräftiges Bild. Die Jungen sind von hinten beleuchtet, das ist tatsächlich die Spiegelung vom Wasser. Was bei dem Bild auch für mich wichtig ist: Ich war Teil des Spiels der Jungen und die haben mich eigentlich gar nicht wahrgenommen in dem Moment. Am Anfang habe ich mit der Kamera mitgespielt, aber am dritten Tag konnte ich dann ohne Probleme fotografieren.

    Papua-Neuguinea und Vanuatu scheinen dein Steckenpferd zu sein, obwohl du auch viele andere Länder dieser Welt bereist hast. Was fasziniert dich an dieser abgelegenen Region so sehr, dass du immer wieder zurückkehrst?

    Es gibt nicht mehr viele Ecken auf der Welt, wo es noch unentdeckte Geheimnisse gibt, die nicht unbedingt einer breiten Masse an Menschen bekannt sind. In Vanuatu und Papua-Neuguinea gibt es noch solche Kulturen und Riten, deswegen finde ich diese Länder so spannend. Ich habe aber auch in Australien Umwelt-Management studiert – mit Schwerpunkt Urvölker – und seinerzeit haben wir natürlich ganz viel in Vanuatu und Neuguinea geforscht. So konnte ich diese Länder und Sitten richtig gut kennenlernen. Wenn man aber auch einmal die Sprachen spricht, dann hat man natürlich einen viel einfacheren Zugang zu den Menschen. Aber der einfache Grund, warum ich immer wieder dorthin zurückkehre, ist der Kontakt zu den vielen tollen Menschen, die ich dort kennenlernen durfte. Von denen ich auch sehr, sehr viel gelernt habe und die mein Leben beeinflusst haben und weil ich sie immer gerne wiedersehen möchte.

    Welche Tipps und Tricks kannst du Reisebloggern an die Hand geben, die vor Ort auch einmal für eine Story recherchieren möchten?

    Nehmt Euch Zeit. Lernt die Menschen kennen. Verbringt Zeit damit, Euch vorher die Menschen auszusuchen. Menschen, mit denen man ein Lächeln austauscht, mit denen man sofort eine Verbindung hat. Die kann man viel einfacher fotografieren, auf die kann man viel einfacher zugehen. Wenn ich zum Beispiel einen Markt fotografiere, will ich nicht alle Marktfrauen fotografieren und jeden Marktstand im einzelnen, sondern ich suche mir eine Person heraus. Für mich ist das dann repräsentativ für den ganzen Markt. Ich gehe hin und kaufe etwas bei der Person, d. h. ich mache den ersten Schritt. In westlichen Ländern gebe ich zuerst meine Visitenkarte und frage ganz höflich, unterhalte mich und erst dann hole ich die Kamera heraus und fange an zu arbeiten. Das ist ganz wichtig, dass man sich dafür die Zeit nimmt. Es zählt nicht die Quantität der Begegnungen, sondern die Qualität. Das ist mein Tipp I für Reiseblogger zum Thema Menschen. Tipp II zum Thema Landschaftsfotografie: Zum einen braucht man Geduld. Wenn ihr einen schönen Ort habt, lohnt es sich, dort einfach mal etwas zu warten. Es muss nicht immer ein Sonnenaufgang sein, es kann auch mal ein dramatisches Gewitter sein. Oder einfach nur Nebel. Nicht nur zwei Minuten hingehen, Foto machen, auch mal dort einen Kaffee trinken oder vielleicht über Nacht bleiben. Das lohnt sich auf jeden Fall, wenn man so einen besonderen Ort hat. Auf der anderen Seite muss man auch schnell sein: Manchmal bekommt man etwas besonders zu sehen und dann gilt es, die Kamera rasch in Position zu bringen. Habt Eure Kamera immer griffbereit.

    Stichwort Bilderflut: Wie entwickelst du deine Themen und Bildideen, um aus der Masse herauszustechen?

    Ich mache mir da überhaupt gar kein Gedanken darüber. Meistens sind es Themen, mit denen ich mich ohnehin schon lange beschäftige und dann bin ich bereits so etwas wie ein Insider oder Experte oder kenne eben Wissenschaftler, die auf diesem Gebiet forschen. Weil es mich einfach selbst interessiert. Ich glaube, man kann keine gute Geschichte machen, wenn man selber nicht dafür brennt. Man hat dann einfach nicht diese Ausdauer, dranzubleiben. Das macht einfach den Unterschied mit einer guten Geschichte aus, dass man daran letztlich arbeiten und sich ständig vertiefen muss. Ich habe über ganz viele Themen – Mumien oder Vulkane – bereits wissenschaftliche Publikationen gemacht. Dazu rede ich auf Fachkongressen, vertiefe mich solange ich ein Thema, bis ich ein Experte bin. Macht das, wofür ihr brennt.

    Eine Profikarriere als Reise- und Expeditionsfotograf/-in erscheint sicherlich auch vielen engagierten Reisebloggern erstrebenswert.  Welche Tipps kannst du Nachahmern geben, die sich für diesen Weg entschieden haben?

    Mein allerbester Tipp: Ganz, ganz, ganz, ganz viel Arbeitswillen und dranbleiben. Das darf man sich nämlich nicht so vorstellen, dass man munter durch die Welt reist und ein paar Bilder macht. Die eigentliche Fotoarbeit, wo ich meinen Auslöser drücke, macht vieleicht gerade mal 2 Prozent von meinem Job aus. Der Rest ist nur harte Arbeit: Du musst im Büro sitzen, du musst die Sachen losschicken und zusammenstellen. Du musst es wirklich wie ein Business aufziehen. Betrachtet es wie einen Job. Macht es mit ganz geregelten Arbeitszeiten, mindestens 8 Stunden am Tag. Das Fotografieren ist dann Freizeit. Wennn ich z. B. einen Monat unterwegs war, dann brauche ich einen Monat Vorbereitung und einen Monat Nachbereitung. Das ist aber immer eine Zeit, die man dann nicht so wirklich sieht. Eine Profikarriere muss man sich also gut überlegen, weil es heißt, alles andere hintenan zu stellen. Ich habe das große Glück, mit meinem Mann jemanden gefunden zu haben, mit dem ich diesen Weg zusammen gehen kann. Aber vorher war viel Privatleben auch nicht drin, weil man ja ständig unterwegs war. Das ist so ein Lifestyle, den macht man mal, wenn man jung ist. Aber wenn man da seine ganze Energie reinsteckt, muss man sich auch darüber im klaren sein, dass man das bis ins hohe Alter machen wird. Und ob man das dann noch machen möchte, ist dann die Frage. Wenn man tatsächlich so hart dafür arbeiten muss, dann ist das nicht unbedingt der Traumberuf für alle. Mein Traumberuf ist es. Aber man muss auch ohne Sicherheiten leben können. Es gibt z. B. keinen regelmäßigen Gehaltseingang auf dem Konto. Gerade in der heutigen Zeit musst du sehr findig sein, wie du dein Geld bekommst. Du musst dich darauf verlassen können, auch mal mit anderen Jobs dein Geld zu verdienen, damit du das machen kannst, wofür du brennst. Das ist ein Job, den man wirklich wollen muss und auch dann bereit sein muss, dafür hart zu arbeiten. Aber dann ist es tatsächlich der absolute Traumberuf.

    Du drehst auch Dokumentarfilme. Wie hat sich das ergeben und welches Medium – Fotografie oder Film – bevorzugst du?

    Ich habe eigentlich immer beides gemacht. Manchmal hat mir der Film geholfen, die Fotografie zu finanzieren und manchmal umgekehrt. Ich finde, eine gute Geschichte bleibt eine gute Geschichte, egal mit welchem Medium man sie darstellt. Im September kommt z. B. ein reines Textbuch von mir heraus. Geschichten erzählen ist die eine Sache, das andere ist das Handwerkszeug. Man muss natürlich gucken, dass man sich auf eine Sache gut konzentrieren kann, wenn man vor Ort ist. Ich mache am liebsten nur eines, entweder filmen oder fotografieren. Leider habe ich diesen Luxus nicht so oft. Wenn ich beides machen muss, dann leidet natürlich die Qualität darunter. Aber bei meinen großen Geschichten nehme ich mir einfach die zusätzliche Zeit, damit es so gut wie möglich wird.

    Gibt es Vorbilder oder große Persönlichkeiten, die deine visuelle Arbeit – Fotografie und Film – beeinflusst haben?

    Carsten Peter, Vulkan-Fotograf u. a. für National Geographic. Das war so der erste, wo ich gemerkt habe, dass man von seiner Leidenschaft auch leben kann. Ich hatte das große Glück, bei seiner Expedition als Camp Assistent dabei zu sein, und da habe ich enorm viel durchs Hinschauen gelernt. Er ist mir ein großes Vorbild für die Abenteuerfotografie und Naturfotografie. David Alan Harvey fotografiert unheimlich gut Menschen und man hat den Eindruck, dass er eigentlich den ganzen Tag nur viel Spass hat und ab und an ein paar Bilder macht. Aber die Bilder sind dann Hammer-Bilder und er hat eine Leichtigkeit, mit der Kamera umzugehen und diese in Situationen einzubauen – das ist Wahnsinn. Er hat mich sehr beeinflusst, Menschen zu fotografieren und ich durfte bei seinen Workshops assistieren. Dabei habe ich auch gelernt, wie man Workshops gibt und das beste aus anderen Fotografen herausholt, sie richtig fordert. Dann natürlich Henri Cartier-Bresson – Urbegründer der Straßenfotografie – oder auch Capa. Es gibt wirklich ganz tolle Fotografen aus der Historie, die mich beeinflusst haben. Ich muss sagen, ich schaue mir diese Arbeiten der alten Fotografen sehr, sehr gerne an und ich finde, da kann man auch für die heutige Zeit sehr, sehr viel lernen. Ich habe mir z. B. gerade ein Buch gekauft, das nennt sich „Contact Sheets“ von Magnum, wo die ganz großen Fotografen ihre Contact Sheets drinhaben und auch über die Bildauswahl sprechen. So etwas mag ich total gerne. Als Fotograf sollte man auch ein bißchen die Geschichte der Fotografie kennen.

    Dein Mann Basti Hofmann begleitet dich seit Jahren auf deinen Expeditionen. Welchen Vorteil bietet dir dieses Teamwork?

    Man hat dann nicht das Problem, das man seinen Partner nur alle halbe Jahre einmal sieht. Basti macht bei uns die ganze Logistik und die Technik, also alles was Drohne ist, 360°-Aufnahmen, Zeitraffer, Kamerafahrten. Das macht alles er. Das hat natürlich den Vorteil, dass wir viel mehr Sachen abdecken können. Basti filmt und fotografiert auch, also als Zweierteam können wir alles machen. Konzepte erstellen und Creative Work ist eher mein Ding und Basti kümmert sich dann um die Umsetzung.

    Als Profifotograf/-in muss man häufig mehrgleisig arbeiten, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Welche Standbeine hast du dir neben der Fotografie und dem Filmen noch geschaffen?

    Ein wichtiges Standbein sind die Fimproduktionen – eine Domäne von Basti. Dazu zählen dann auch 360°-Aufnahmen, Zeitraffer, Drohnen-Aufnahmen. Natürlich erzeugt auch eine Geschichte von uns Medienaufmerksamkeit, sei es eine Buchveröffentlichung, ein Film oder eine Fotoreportage. Dadurch ist das Interesse von Leuten an Vorträgen da. Man erfährt etwas in den Medien, möchte das dann auch live erleben und so kommen die Leute zu unseren Vorträgen. Dort erfahren sie dann, dass wir auch Workshops geben und Expeditionsreisen zu den Orten machen, über die wir bei unseren Vorträgen berichten. Das Standbein Fotoreisen und Workshop wird also immer wichtiger, auch die Vorträge. So sind wir viel unterwegs und schaffen es gerade, vieleicht ein Drittel des Jahres in Europa zu sein.

    Was kann man in deinen Workshops lernen? Reine Theorie oder auch Übungen aus der Praxis mit „Hands on“-Mentalität?

    Wir haben einen Workshop in Südtirol, der geht eine ganze Woche. Da geht es rund um Geschichten erzählen mit Fotos. Man lernt z. B., wie man ein Landschaftsbild mit Gefühl erzielt. Man lernt erzählerische Porträts. Bis hin zur Königsdisziplin – eine eigene Fotoreportage zu erstellen. Das ist für mich eine riesige Belohnung, wenn ich dann hinterher sehe wie z. B. Anfänger ihre Technik spielerisch gelernt haben und großartige Fortschritte erzielen. Es gibt jeweils zu Beginn des Tages eine theoretische Einführung mit Beamer, wo von der Pike auf die Technik erklärt wird. Dann wird die Aufgabe vergeben und am Abend gibt es die Bildbesprechung, wo jeder Teilnehmer sieht, was die anderen fotografiert haben. Jeder bekommt dann eine individuelle Besprechung, was für die Motiviation am nächsten Tag sehr wichtig ist. Wir haben da eigentlich immer richtig, richtig viel Spaß. Ansonsten gebe ich noch kürzere Workshops oder Seminare, die jeweils unter einem speziellen Thema stehen. Z. B. Sternefotografie oder Menschenfotografie, verbunden mit Übungen in der Praxis, die dann hinterher besprochen werden. Das ist mir ganz wichtig, den Teilnehmern individuelles Feedback zu geben, sie auf ihrem Weg abzuholen und zu bestätigen. Man muss sich Zeit nehmen, das zu fotografieren, was man eigentlich im Kopf hat. Da ermutige ich die Teilnehmer, dranzubleiben und das umzusetzen.

    Welche Projekte und Reisen stehen dieses Jahr noch auf dem Programm?

    Es sind jeweils noch zwei Fotoexpeditionen geplant, nach Vanuatu und Papua-Neuguinea. Dann sind wir noch für einen Kinofilm in Vanuatu unterwegs und Tasmanien. Ebenso filmen wir noch für die BBC in einem aktiven Vulkan im September. Und vieleicht bin ich noch mal in Amerika für Terra X, das steht aber derzeit noch nicht fest. Ansonsten bereiten wir unser neues Projekt vor. Das heißt „47 Berge, 47 Länder“. Wir wollen in jedem europäischen Land den höchsten Berg besteigen. Dafür nehmen wir uns dann ein ganzes Jahr Zeit. Dazu gibt es bereits auf der Canon-Facebookseite den Trailer – schaut gigantisch schön aus. Und natürlich demnächst auf meiner Website.

    Vielen Dank für das Gespräch.

    © Interview von Ralf Falbe 2017, Foto von Ulla Lohmann.

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