Surf-Odyssee in Portugal

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    Fischgeruch liegt in der Luft, der Wind trägt die Dünste der nahen Fischfabrik durch die offene Tür in den Surfshop Waterlost am Praia da Gamboa. Zwischen Neoprenanzügen und frisch gewachsten Boards thront Miguel hinter seinem Holztresen und erzählt über das portugiesische Surf-Eldorado Peniche: „Wir sind hier ziemlich hinterher im Vergleich zu Ericeira oder so. Seit vierzig Jahren gibt es in Peniche immer wieder einen kommunistischen Bürgermeister, der die Dinge auf seine Art angeht. Wenn du jung und smart bist, dann gibt es hier nicht viel zu tun für dich.“ Im Hintergrund laufen Surffilme in Endlosschleife auf dem Flachbildschirm. Einige Surfer aus Kalifornien fragen nach Shortboards, ein Franzose sieht sich die neuen Longboards näher an. „Shortboards lohnen sich für uns nicht, die werden einfach zu selten ausgeliehen. Große Planken dagegen gehen immer, gerade Anfänger schwören auf Longboards. Und wir machen das hier seit 2006“, meint der umgängliche Surfshop-Betreiber hinter seinem rustikalen Holztresen. Peniche gilt seit vielen Jahren als Hotspot für Surfer in Portugal, auch wenn die wenigsten Einheimischen hier selbst surfen. Miguel erklärt: „Hier gibt es für viele nur einen Job im Supermarkt oder in der Fischfabrik. Surfen ist da Luxus. Und im Winter ist das hier eine Geisterstadt, da ist alles geschlossen.“ Wir sehen gemeinsam auf die Wettervorhersage, für die hiesige Küste sind morgen vier Meter hohe Wellen angesagt. Irgendjemand der benachbarten SALTY CREW meint im Hintergrund: „Wenn in Ericeira Vier-Meter-Wellen angesagt sind, dann hast du in Nazaré bestimmt 12-Meter-Wellen. Das liegt an dem Unterwasser-Canyon dort.“ Dieser 230 km lange Tiefseegraben ist berühmt, denn dadurch türmen sich vor dem Leuchtturm von Nazaré die Wassermassen im Herbst und Winter an guten Tagen bis zu über 30 Meter hoch: Nazaré, knapp 100 Kilometer nördlich von Lissabon gelegen, bedeutet Big Wave Surfing. Ein Revier, das in einem Atemzug mit berühmten und internationalen Monsterspots wie Mavericks in Kalifornien oder dem Wellenberg der Cortes Bank genannt wird, nur den erfahrensten Profisurfern vorbehalten. Der deutsche Pro-Wellenreiter Sebastian Steudtner surfte am 29.10.2020 in Nazaré eine Rekord-Welle, die nachweislich 26,21 m hoch war. Unfälle sind dabei häufig, so wäre 2014 der brasilianische Surfer Rodrigo Koxa beinahe in einer gigantischen Weißwasserwalze ertrunken.

    Am nächsten Morgen um 7:00 Uhr geht es los mit dem Bus, preiswert und schnell. Nach rund einer Stunde Fahrt ist die Bucht von Nazaré in Sicht, während der Herbst noch für ungemütliche Regenschauer sorgt. Vorbei an den wartenden Passagieren vor dem Busterminal, ein Kaffee schafft kurze Wohlfühlatmosphäre und dann hinein in die wartende Bergbahn, die Nazaré-Strand mit der Oberstadt (Nazaré-Sitio) verbindet. Die nur 318 Meter lange Strecke bewältigt dabei eine beeindruckende Steigung von 42 Prozent. Oben angekommen führt ein gut ausgeschilderter Rundweg zum nahen Leuchtturm von Nazaré mit dem berühmten Praia do Norte, vorbei an bunten Souvenirbuden und etlichen Schaulustigen. Unterhalb der markanten Klippen tobt der raue Atlantik, türmen sich gigantische Brecher auf. Es ist Showtime: Erwartungsvoll starren Touristen und Surfer auf die tobende See, beobachten zwei Trainings-Teams mit Jetskis beim Tow-In-Surfen auf dem offenen Ozean. Andere betreten den berühmten Leuchtturm, in dessen Räumlichkeiten ein Museum mit Requisiten der wagemutigsten Big Wave Legenden eingerichtet wurde. In dem Gewölbe gibt es nicht nur die bunten Guns berühmter Athleten zu bestaunen, auch eine Fotoausstellung mit den beeindruckenden Wellen dieses Weltklasse-Spots zieht die Besucher in ihren Bann. Etwas steifbeinig wird spätestens jetzt klar: Nazaré ist nur etwas für Pro-Surfer. Tückische Strömungen und die brachiale Gewalt der haushohen Wasserwalzen erfordern absolute körperliche und mentale Fitness, viel Erfahrung und eine Menge Mut. Zusammen mit anderen Besuchern fällt der Blick wieder auf den schäumenden Ozean und die winzigen Gestalten, die sich dort in den Weiten des Meeres wie Gladiatoren mit den Wellenmonstern messen wollen. Fehler werden nicht verziehen, mindestens einmal muss der Jetski einen glücklosen Surfer aus der kalten Weißwasserwalze ziehen. Am Praia do Norte stehen bereits Rettungsteams bereit. Während der Regen einsetzt, schieben sich erste Besuchergruppen bereits wieder in Richtung Bergbahn, zurück in ein warmes Café. Zeit für einen Galáo, bevor es um 15:00 Uhr wieder mit dem Bus zurück nach Peniche geht. Später am Abend dann in der Trés Áz Bar laufen diese Surfvideos mit den Monsterwellen und alle schauen mit großen Augen auf den flackernden Bildschirm. Im Vergleich zur heutigen Live-Show in Nazaré nur ein schaler Aufguss des Erlebten. Morgen geht es wieder ins Wasser, das ist klar. Aber mit Longboard und am Praia da Gamboa in Peniche, wo zum Glück bescheidene 1-Meter-Wellen auf eher untrainierte Hobby-Surfer treffen. Völlig ausreichend für ein breites Grinsen im Gesicht.

    Infokasten:

    Anreise: Mit dem Bus von Lissabon nach Peniche in etwa einer Stunde für zehn Euro. Mehrere Busverbindungen täglich von der Busstation Sete Rios in der boomenden Metropole am Tejo (Info: https://rede-expressos.pt) nach Peniche und Nazaré. Auch viele Individualreisende aus Deutschland oder Frankreich mit dem eigenen Wohnmobil oder Auto, die ihre Fahrzeuge nachts auf dem bewachten ASA Motorhome Park Peniche (www.asapeniche.pt) für 7 Euro parken können. Die gut ausgerüstete Touristen-Information findet sich zentral in der Rua Alexandre Herculano, sobald man nach Ankunft mit dem Bus die alte Festungsmauer durchschritten hat: Kartenmaterial, Souvenirs und preiswerte T-Shirts ab fünf Euro.

    Unterkunft: Pousada Residencia Aviz, Praca Jacob Rodrigues Pereira 2, Peniche, Telefon 262782153, auch über Booking.com buchbar, einfache und saubere Zimmer mit Gemeinschaftsbad in zentraler Lage ab 20 Euro pro Nacht. Im Sommer ist auch ein Campingplatz in Peniche geöffnet. Auf der Halbinsel Baleal gibt es viele Surfcamps mit eigenen Lodges und Übernachtungsmöglichkeiten (Info: www.BalealSurfcamp.com oder www.SurfersLodgePeniche.com). WOTELS HUB bietet auch in Peniche Unterkünfte jeder Art für kontaktfreudige Reisende und Surfer: www.wotelshub.com.

    Surfen: Verleih von Surfboard/Boogieboard und Neoprenanzug fast überall für 15,- Euro halbtags. Am Praia da Gamboa gibt es zwei Surfshops, um sich mit Wachs, neuen Finnen oder T-Shirts einzudecken. Der bekannteste Spot heißt „Supertubos“ mit einer schnellen, hohlen Welle am Praia Molhe Leste und ist den erfahrenen Surfern vorbehalten. Die Anfänger tummeln sich eher in der weitläufigen Bucht zwischen Praia do Gamboa und der Halbinsel Baleal mit den vielen einladenden Beachbreaks. Surfschulen unterrichten hier ihre Schüler, die doch oftmals im Wasser etwas überfordert wirken. Aus Sicherheitsgründen empfiehlt es sich daher, unbedingt Abstand zu halten. Die Verletzungsgefahr durch umherfliegende Surfboards ist nicht zu unterschätzen, auch kann der Atlantik ziemlich rau werden. Eine kräftige Weißwasserwalze führt hier rasch zu Blessuren oder auch Gehirnerschütterung. Übersicht und Spots: www.surfermap.com. Viel Kartenmaterial auch in den lokalen Surfshops wie Waterlost oder bei der Touristen-Information vor Ort.

    Tauchen und Hochseefischen: Speerfischer und Schnorchler finden ihr Revier am Praia do Quebrado und an der Nordküste der rauen Halbinsel von Peniche. Angler, Skipper und Taucher finden Ausrüstung und Kontakte in den maritimen Shops rund um den Yachthafen, darunter Atlantida LDA (Info: www.atlantida-online.com).

    Essen und Trinken: Viele Restaurants und Strandbars für jeden Geschmack und Geldbeutel. In der Trés Áz Bar in der Avenida do Mar trifft sich die Surferszene in Peniche auf ein Bier. Gegenüber gibt es hervorragende Fischgerichte, wie auch im benachbarten japanischen Restaurant Nagoya Peniche (Take Away Service, Telefon 262785405). Am Praia do Quebrado findet sich ein empfehlenswertes und preiswertes Ausflugslokal, das überwiegend von Einheimischen besucht wird. Neben dem Intermarché am Praia da Gamboa steht ein Foodtruck, in dem hervorragende Pizza für etwa neun Euro angeboten wird. Die Preise sind insgesamt deutlich günstiger als in Deutschland.

    © Text und Foto: Ralf Falbe 2022/2023. Der Beitrag erschien im Ärztlichen Journal im April 2023.